Pubertät ist für viele ein Schreckgespenst. Plötzlich verwandelt sich das kleine, verschmuste Kind in einen stacheligen Kaktus, der nix mehr mit uns zu tun haben will, Unmengen von Junkfood vertilgt und der alles was wir sagen „cringe“ findet.
Spoileralarm: So schlimm ist es nicht!
Entwarnung. Ganz so schlimm ist es dann doch nicht. Trotzdem ist es nicht immer leicht, sich auf die ganzen Veränderungen einzustellen. Ich hatte ganz schön daran zu kauen, dass mein Pubertier sich von jetzt auf gleich so einigelte und an manchen Tagen jedes Wort von mir mit ätzenden Kommentaren und Augenrollen bedachte. Oft war ich sehr verletzt und konterte mehr als einmal auch nicht gerade pädagogisch wertvoll, sondern eher wie ein schmollendes kleines Kind.
Irgendwann wurde mir aber klar, ich bin gar nicht wirklich gemeint. Das ist nichts Persönliches. Und langsam aber sicher begann ich mich sehr genau daran zu erinnern, wie ich mich in dieser Zeit gefühlt habe – unsicher, extrem verletzlich und oft einfach nur zum Heulen traurig oder zum Platzen wütend auf die Welt, die Lehrkräfte, die Eltern alle, die einen ständig fremdbestimmten, obwohl sie anscheinend so wenig wussten, wie es mir ging.
Respekt, Werschätzung und Klarheit
Mittlerweile haben wir uns tatsächlich gut eingegrooved. Ich sage im Normalfall( schließlich bin auch ich nur ein Mensch, der nicht jeden Tag in seiner Kraft und Ruhe ist) ruhig und klar, wenn mich Worte verletzen und ich so nicht angesprochen werden will.
Außerdem versuche ich es die Themen wirklich ernst zu nehmen, die mein großes Kind an mich heranträgt, auch wenn ich keinen Zugang dafür hab. Ich belächle weder modische Entscheidungen (wäre ja auch noch schöner…) noch Musikgeschmack ( zum Glück ist der aber auch echt gut 😊 ) oder die Einstellung zu anderen Themen, bei denen wir vielleicht sehr unterschiedliche Ansichten haben und ich sage sehr deutlich, wenn mir etwas wichtig ist. Reizthemen wie Schularbeiten, die nur mäßig zuverlässig erledigt werden, kann ich tatsächlich gelassen nehmen. Wir bieten Hilfe an und führen Gespräche, das ist klar und versuchen durchaus mitzuwirken um glimpflich durchzukommen.
Erinnerung an die eigene Pubertät
Da ich aber selbst zwischen 13 und 16 tatsächlich weder Hausaufgaben gemacht bzw. diese morgens in fünf Minuten vor Schulbeginn hingeschmiert hab und Lernen für mich ein Fremdwort war, weil einfach in dem Alter so viel Anderes Wichtiges passiert, kann ich mich jetzt schlecht hinstellen und sagen „So geht das aber nicht!“. Ehrlich gesagt ging es bei mir ganz gut so. Unsere Lehrkräfte hatten tatsächlich auch was Anderes zu tun als Hausaufgaben zu kontrollieren. Sie überließen das unserer Eigenverantwortung und -entscheidung.
Heute hagelt es dann Mitteilungen und auch Nacharbeitstermin. Das nimmt unser Teenager gelassen hin. Ich auch. Lediglich der Satz unter jeder Mitteilung „Wir bitten Sie Ihr Kind in seinen schulischen Bemühungen zu unterstützen“ löst bei mir jedes Mal eine kleine Fluchattacke aus, weil ich es so was von unpassend finde, Eltern von Heranwachsenden zu unterstellen, sie würden Ihren Kindern eventuell nicht die gewünschte/notwendige Hilfestellung geben, weil diese Hausaufgaben nicht vorweisen können, oder mal so ein olles Geodreieck nicht dabeihaben.
NEWSFLASH an alle Nicht-Teenagereltern (oder die von Vorzeigepubertieren, die freiwillig auf dem Hosenboden sitzen um zu büffeln und nie etwas vergessen. ): Einem 15jährigen guckst Du nicht beim Hausaufgaben machen über die Schultern. Es sei denn Du bist lebensmüde!
Gleiches gilt insbesondere fürs Aufwecken eines/r Jugendlichen. Das ist jedes Mal ungefähr so als mit einem Küchenhandtuch als Schutzanzug eine Bombe zu entschärfen. Da habe ich ja beinah Glück, das unser Exemplar vorzugsweise durch geschlossene Türen mit uns spricht und daher eventuell fliegende Gegenstände das weckende Elternteil nicht treffen können 😉
Vertrauen als wichtigste Zutat
Meine wichtigste Zutat in der Beziehung zu meinen ältesten Kindern (das große Bonuskind ist tatsächlich schon wieder etwas pflegeleichter und das Pubertätsbergfest bei ihm wohl überstanden…) ist Vertrauen.
Vertrauen darauf, dass es schon wird. Ja sie werden sicherlich Mist bauen, mal viel zu viel trinken, eventuell rauchen, mal kiffen, unvorsichtig sein, andere inklusive mir mit einer Unbedachtheit emotional verletzen, von unordentlich und unpünktlich fangen wir jetzt gar nicht an, sonst wird das ein tausendseitiger Roman…, ABER das gehört dazu. Seien wir ehrlich es gehört verdammt nochmal dazu. Der Gehirn im Bereich der für vernünftiges Verhalten, für Gefahreneinschätzung und das Planen zuständig ist befindet sich in diesem Alter im Umbau. Es ist eine einzige Großbaustelle.
Hummer im Schalenwechsel
Was übrig bleibt ist immer noch dieser wunderbare Mensch, den Du seit Jahren begleitest. Dieser Mensch ist aber derzeit so sensibel und verletzlich wie ein Hummer, der aus dem einen Panzer rausgewachsen ist und auf das Vervollständigen der neuen Schutzrüstung wartet. Versuch ihm mit Gelassenheit und Liebe zu begegnen, auch wenn er sich mehr als einmal unmöglich benimmt und nimm ein Neues Mantra in Dein Repertoire auf: Es ist nicht persönlich. Er/Sie meint nicht mich und unter All der Krätzigkeit ist mein verletzliches Kind, das mich immer noch braucht. Ja das tut es. Es braucht Dich, aber anders.
Sei da, wenn es reden will. Hilf ohne Vorwürfe, wenn es Hilfe braucht und respektiere es in seiner Meinung. Und um Gottes Willen weck es nicht auf 😉
#Pubertät #Leben mit Teenagern #Familienleben
Liebe Andrea,
toller Artikel, ein Artikel der mir Mut macht.:)
Den Trick, bei geschlossener Tür zu wecken, übernehme ich gerne.
Und ja, Vertrauen ist, glaube ich, wie auch sonst im Leben, das Zauberwort.
Liebe Grüße M.K.
Ja, Vertrauensvorschuss kostet nur eines: Überwindung. 🙂