Herbst ist klassischerweise Eingewöhnungszeit in Kitas, Kindergärten und Tagespflegestellen. Diese Zeit ist für viele Eltern und Kinder leider häufig geprägt von Verunsicherung, Frustration und Angst. In vielen Einrichtungen wird noch keine bindungsorientierte, kindzentrierte Eingewöhnungsstrategie verfolgt.
Wie eine bedürfnisorientierte Eingewöhnung aussehen sollte, erzähle ich auch im Gespräch mit Nancy Flege in ihrem Podcast „Lebensschritte“.
Sanfte Eingewöhnung ist die Basis der Erziehungspartnerschaft
Essentiell für eine gute Zusammenarbeit zwischen den Einrichtungen und Familien ist eine Vertrauensbasis, die sich zu Beginn der Zeit in der Einrichtung langsam aufbauen darf. Dazu bedarf es einer sanften Eingewöhnung, die das Kind in seinem Tempo voranschreiten lässt und auch die Ängste und Sorgen der Eltern wahrnimmt und anerkennt.
Eingewöhnung verläuft in mehreren Phasen. Wenn Du mehr über die verschiedenen Phasen wissen willst, lies gern meinen Blogartikel für Fachkräfte dazu, der für Eltern ebenfalls interessant ist.
Was, wenn der Start holprig ist?
Wenn Du als Elternteil das Gefühl hast, es geht zu schnell, die Betreuer*innen nehmen sich nicht ausreichend Zeit, mit Dir zu sprechen, sich mit Deinem Kind und seinen Bedürfnissen vertraut zu machen und Du merkst, sie wollen Dich einfach schnellstmöglich „draußen“ haben, ist es Zeit erstmal kurz die Bremse zu ziehen. Hier findest Du 3 Notfalltipps, wenn der Eingewöhnungsstart nicht läuft wie erhofft.
1. Trau Dich STOPP zu sagen
Die Einrichtung möchte die Trennungszeit schnell immer länger gestalten, obwohl es noch nicht gut klappt und Dein Kind lange und viel weint? Du musst da nicht mitziehen! Geh ins Gespräch. Sag ganz klar, dass Dein Kind dafür noch nicht bereit ist und Du da nicht mitgehen kannst. Gegebenenfalls macht einen Schritt zurück und verkürzt die Zeiten kurzfristig erstmal wieder oder überlegt gemeinsam, was dem Kind helfen könnte, sich sicherer/wohler zu fühlen.
Rückschritte sind manchmal nötig und keine Niederlage!
Das ist keine Niederlage! Manchmal braucht das Kind auch einfach nur ein paar Tage mehr in denen Mama oder Papa mit dabei sind und es die neue Umgebung und die neuen Menschen in Sicherheit entdecken kann, weil die primäre Bindungsperson in der Nähe ist. Diese Regression über kurze Zeit kann helfen, sich an diese neuen Ablauf zu gewöhnen, vieles zu verarbeiten und sich setzen zu lassen.
Manche Fachkräfte haben die diffuse Angst, monatelang Eltern in ihrer Gruppe sitzen zu haben, weil sich die Kinder dann daran gewöhnen könnten. Tatsächlich ist es aber so, dass die Kinder, die Eltern dort nur so lange benötigen, wie es dauert eine stabile Bindung zu den Betreuer*innen aufzubauen, dann liegt es in ihrer Natur in die Exploration zu gehen, sich in diese neue, spannende Gruppe von Gleichaltrigen einzufügen und die Fachkräfte als Bindungspersonen zu haben, die bei Bedarf da sind um zu trösten und zu unterstützen.
Nicht über sondern mit den Kindern reden
Bei Kindern, die sich bereits sprachlich gut ausdrücken können, bezieht dieses unbedingt mit ein! Häufig können sie uns sehr genau sagen, was sie brauchen und wollen. Zum Beispiel, dass Mama noch bis nach dem Morgenkreis dabei bleibt und erst dann geht, weil diese Situation fürs Kind noch schwierig ist. Oder es im Moment noch vor dem Mittagessen geholt werden möchte, weil es dann schon müde, die laute, wuselige Situation im Essensraum nicht gut verkraftet.
Versucht eine Lösung zu finden, die für die Einrichtung mit dem Tagesablauf zu vereinbaren ist und gleichzeitig unbedingt im Auge behält, was Dein Kind jetzt braucht, um sich sicher zu fühlen. Die Hauptperson ist das Kind und das sollte auch die ausschlaggebende Stimme sein. Niemand sonst kann so gut wissen, was es braucht.
2. Stärke Dein Kind durch Bindungsspiele und löse Ängste auf
Wenn durch zu frühe Trennungen oder etwa übergriffiges Verhalten, Kinder die sich panisch an Eltern klammern aus dem Arm der Eltern zu lösen, Ängste und Übermächtigungserfahrungen bei Deinem Kind ausgelöst wurden, kannst Du diese spielerisch lösen.
Sogenannte Bindungsspiele wie von Aletha Solter in ihrem Buch „Spielen schafft Nähe – Nähe löst Konflikte“ können uns im Alltag helfen, das Kind wieder ins Gleichgewicht zu bringen.
Trennungsspiele
Einfache, gängige Spiele wie „Kuckuck – da!“ und Verstecken helfen Kindern spielerisch kurze Trennungen zu bewältigen (Ich sehe Mama nicht, sie sieht mich nicht…wir sind kurz nicht da…). Dabei darfst Du gern überzogen spielen: „Oh nein, wo ist denn jetzt mein kleiner Ben!? Ich kann ihn nirgends finden. Das ist ja schrecklich…was soll ich nur tun?!“ und dabei dramatisch jammern. Das finden Kinder für gewöhnlich sehr spannend und lustig und proben damit für den „Ernstfall“.
Das „Mama kann mich nicht sehen, sie sucht mich ganz doll und kann mich gerade nicht finden“, bei dem sie selbst in der Hand haben, wann sie wieder gefunden werden möchten, übt spielerisch, dass man sich kurzfristig nicht sehen kann und trotzdem dabei nichts passiert. Die Sicherheit, dass Mama oder Papa am Ende ja immer wieder da sind und mich „finden“ festigt sich nach und nach auf eine wunderbare Weise – mit Freude und Bauchkribbeln. 🙂
Machtumkehrspiele
Gegen das belastenden Gefühl der Übermächtigung durch einen Erwachsenen, der dem Kind natürlich körperlich überlegen ist, helfen Machtumkehrspiele.
In diesen Spielen ist das Kind in der mächtigen Rolle. Es ist im Spiel der Stärkere und kann uns plötzlich schwache Erwachsene spielend besiegen. Hierfür eignen sich zum Beispiel Kissenschlachten, bei denen wir uns von unserem Kind ordentlich „vermöbeln“ lassen und auch hier völlig überspitzt reagieren „Oh nein, Hilfe….Du bist viel zu stark…da habe ich ja keine Chance…“ So kann es unschöne Situationen, die es erlebt hat, wie zum Beispiel einfach hochgenommen und von der Erzieherin strampelnd weggetragen werden, während es versucht zur Mama zu kommen, verarbeiten.
Diese Situationen sollten tunlichst vermieden werden, aber kommen im Alltag trotzdem immer wieder vor. Und es ist wichtig sie für das Kind passend aufzulösen und es wieder in die Selbstwirksamkeit zu bringen, die für uns Menschen ein wichtiges Bedürfnis ist, das es zu erfüllen gilt.
Spiele mit Körperkontakt
Spiele mit Körperkontakt eignen sich besonders um eventuelle traumatische Erfahrungen. Und ja auch eigentliche „Kleinigkeiten“ können dazu zählen. Ein mit Gewalt vom Türrahmen gelöst werden und in die Gruppe getragen zu werden, während man nach dem Papa schreit, der verunsichert und schnell zur Tür rausgeht, kann absolut dazugehören).
Spiele mit Körperkontakt helfen die Bindung zu stärken und unangenehme Begebenheiten aufzuarbeiten. Dazu gehören zum Beispiel Kniereiterspiele wie „Hoppe hoppe Reiter“, oder Pizzamassage, auf dem Rücken mit dem Finger Formen malen, die das Kind/das Elternteil erkennen muss. Oder einfach das in dem Armen auffangen, wenn das Kind auf uns zu rennt.
Sei dabei aber sehr achtsam und wahre immer die Grenze Deines Kindes! In allen Situationen gilt, nur wenn das Kind den Körperkontakt möchte, initiieren wir ihn!
3. Plan B für den Worst Case – wenn die Einrichtung Ultimaten stellt.
Für den Fall, dass es so gar nicht klappt, die Einrichtung Euch absolut nicht entgegenkommt und auf einem strikten Zeitplan besteht, der für Euch aber einfach nicht funktioniert, oder Ihr während der Eingewöhnung merkt, dass ist absolut nicht der richtige Ort für mein Kind, ist es gut einen Plan B zu haben und nicht von heute auf morgen dazustehen, ohne Betreuungsplatz, wenn man darauf angewiesen ist.
Ja, das ist der Worst Case. Und im Normalfall sollte das absolut nicht vorkommen, aber: Leider habe ich mittlerweile schon mehrmals erzählt bekommen, dass auf Eltern seitens der Einrichtung massiver Druck ausgeübt wird im Sinne von „Da müssen die Kinder durch und wenn Sie das Kind ab morgen nicht abgeben und direkt gehen, egal wie es schreit, dann lösen wir den Betreuungsvertrag auf, weil das so für uns nicht funktioniert!“
Das ist unterste Schublade und für mich ein klares Zeichen, dass in dieser Einrichtung weder das Kindeswohl noch die Erziehungspartnerschaft mit den Eltern einen besonders hohen Stellenwert haben. Da willst Du dann auch nicht wirklich Dein Kind haben. Nichsdestotrotz kann so eine Situation uns echt in die Bredouille bringen.
Die meisten Eltern sind auf ihre Erwerbsarbeit angewiesen und viele arbeiten einfach auch gerne! Ohne Betreuung gestaltet sich das mit Kindern aber extrem schwierig.
Was kannst Du in diesem Extremfall tun?
Erstmal Durchatmen!
Recherchiere schnellstmöglich: Gibt es eine bedürfnisorientiert arbeitende Tagespflegestelle mit Vakanzen in der Nähe? Könnt Ihr innerhalb der Familie die Betreuung leisten (eventuell übrige Elternzeiten nutzen, Teilzeitmodelle für Beide, Unterstützung von Omas und Opas, Tanten, Onkel, Elternteams, wer auch immer zu Eurem Dorf gehört? Das kann zumindest übergangsweise eine gute Lösung sein, bis ihr dann den passenden Betreuungsplatz habt, der zu Eurem Kind passt und Euch ausreichend Zeit lässt dort anzukommen.
Vielleicht gibt es eine nette Nachbarsfamilie, die dass Kind kennt und mag, die Euch aushelfen kann, oder mit der Ihr Euch als Team organisieren könnt um wechselseitig zu betreuen.
Und auch wenn das eine unangenehme Situation, Ihr werdet es irgendwie lösen können. Und mach Dir bewusst, dass es letztlich besser so ist. In einer solchen Einrichtung wäre Dein Kind nicht gut aufgehoben gewesen und Ihr wärt damit sicher nicht gut gefahren.
Feedback for Future
Auch wenn Familien mehr als genug auf ihrem Teller haben, nimm Dir die Zeit dieser Einrichtung sachlich formuliertes Feedback zu geben, wie für Euch diese misslungene Eingewöhnung und vor Allem die mangelnde Empathie und der krasse Druck seitens der Einrichtung wahr.
Es reicht, wenn Du eine Email an die Verantwortlichen: Leitung, Träger und Elternbeirat formulierst. Sollte darauf hin keine Antwort oder eine kritikresistente kommen, steht es Dir frei einen Schritt weiterzugehen und Dich damit ans Jugendamt zu wenden.
Ich persönlich finde das sehr wichtig, weil sich etwas tun muss in unserer Betreuungslandschaft, in der Weise, wie wir als Gesellschaft Familien im Allgemeinen und Kinder im Besonderen behandeln. Und das passiert nur, wenn wir es nicht hinnehmen, dass man so mit Kindern umgeht.
Als Erzieherin wünsche ich mir nichts mehr, als dass nur noch Menschen in meinem Berufsfeld tätig sind, die kleinen wie großen Menschen mit Wertschätzung und Respekt begegnen statt mit Ignoranz und Abwertung. Es gibt zum Glück schon sehr viele von den diesen tollen Fachkräften da draußen, aber noch lange, lange nicht genug!
Wie war Eure Eingewöhnungserfahrung? Habt Ihr eine bindungsorientierte Eingewöhnung erfahren dürfen, oder gab es auch Probleme mit strikten Vorgaben der Einrichtung? Schreib es mir in die Kommentare oder mail mir gern.